„Berus“ und „Tirus“, zwei schwer zu deutende Schlangennamen aus vorlinnaeischer Zeit

„Berus“ und „Tirus“, zwei schwer zu deutende Schlangennamen aus vorlinnaeischer Zeit

Von Wolfgang Böhme, Bonn & Moritz Böhme, Berlin

Zusammenfassung

Im ersten Teil dieses Aufsatzes stellen wir die Frage nach dem etymologischen Ursprung des Artnamens der Kreuzotter, Vipera berus (Linaeus, 1758). Es ergibt sich, dass der Linné’sche Name mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben und daher als beigestelltes Substantiv gemeint ist. Dies bedeutet, dass die Endung zu Recht nicht an das feminine Geschlecht des Namens Vipera angepasst ist. Das Wort „Berus“, welches sich nicht in klassischen Latein-Lexika findet, taucht nur in mittelalterlichen Lexika auf, wo es Albertus Magnus (1193 oder 1206/07 – 1280) zugeschrieben wird, der es auf eine aquatische Schlange bezieht. Es ist wahrscheinlich, dass er es von dem mittelhochdeutschen Wort „ber“ und „berslange“ abgeleitet und dann durch einfaches Anfügen der Endung „-us“ latinisiert hat. Dies ergibt sich jedenfalls aus dem Werk von Konrad von Megenberg (1309 – 1374), der explizit feststellte, dass der „Berus“ die „ber“-Schlange ist, wobei das Wort „ber“ vom Mittelhochdeutschen „bera“ (= gebären) abgeleitet ist. Während Albertus Magnus sich gegenüber alten Berichten aus der Antike, vor allem von Gaius Plinius Secundus (= Plinius der Ältere: 23 – 79) durchaus kritisch geäußert hat, ist dies bei Konrad von Megenberg ein Jahrhundert später nicht der Fall. Er wiederholte alle mystischen, bizarren Details zur Fortpflanzung der Vipern und betonte deren Glaubwürdigkeit!
Der zweite Teil dieses Beitrags befasst sich mit der Frage, die Niccolò Leoniceno (1428 – 1524) in seiner frühen herpetologischen Arbeit „De tiro seu vipera“ (1497/99) gestellt hat, wo er diskutierte, ob die „Tirus“ genannte Schlange eine exotische Schlange aus dem Nahen Osten oder aber die gemeine italienische Viper Vipera aspis sei. Beschreibungen dieser Schlange fanden wir wiederum in den viel früheren Arbeiten von Albertus Magnus bzw. Konrad von Megenberg. Letzterer gab, abgesehen von seiner expliziten Feststellung, dass der Name „Tirus“ auch der Ursprung des Wortes „Tiriacus“ (d.h. des Teriak) sei, wiederum einige bizarre und mystifzierte Beschreibungen dieser Schlange, welche offenkundig das basale Produkt zur Herstellung der mittelalterlichen Heilsalbe namens „Teriak“ war. Albertus Magnus gab jedoch so detaillierte Beschreibungen, dass klar wurde, dass „Tirus“ nicht eine einzelne Art, „Berus“ und „Tirus“, zwei schwer zu deutende Schlangennamen aus vorlinnaeischer Zeit Von Wolfgang Böhme, Bonn & Moritz Böhme, Berlin sondern eine ganze Gruppe von Schlangen meint, die sehr verschiedene Merkmale und Eigenschafen besitzen, verschiedene Verbreitungsgebiete haben
und einige giftige, aber auch andere ungiftige Formen umfassen. Der „Tirus“, der von ihm als in seinem Lande (Deutschland) vorkommend beschrieben wurde, wird als nicht-gifig beschrieben und hat morphologische und ethologische Eigenheiten, die
ihn unidentifzierbar machen: allein dieser einzelne mitteleuropäische „Tirus“ vereint Merkmale der heutigen Schlangen-Gattungen Dolichophis, Elaphe, Malpolon, Natrix und Zamenis auf sich!
Offenbar wurde der Name „Tirus“ für eine ganze Reihe von Schlangen geprägt, die zur Herstellung des berühmten Teriak benutzt wurden, der vor allem gegen Vergiftungen durch wilde Tiere helfen sollte, außer denen, die durch einen „Tirus“ selbst verursacht wurden. Daher gab es noch eine zusätzliche Mixtur, die auch den berühmten Apothekerskink (Scincus scincus) einschloss, und „Mithridat“ genannt wurde, und die speziell gegen Schlangenbisse Verwendung fand. Ihr Name rührte vom König von Pontus, Mithridates VI. (130 – 63 v. Chr.), der sich selber durch kleine, regelmäßige Giftdosen gegen Schlangenbisse immunisiert haben soll.

Summary

„Berus“ and „Tirus“, two pre-Linnean snake names hard to identify: In the first part of this note, we ask for the etymological origin of the species epithet of the common Eurasian adder, Vipera berus (Linnaeus, 1758). It turns out that Linné’s name is
written with a capital letter and therefore meant as a noun in apposition. Tis means that its ending has justifiedly not been adapted to the feminine gender of Vipera. The word “Berus” which is not present in classical Latin dictionaries can only be found in medieval dictionaries where it is referred to Albertus Magnus (1193 or 1206/07 – 1280) who used it for an
aquatic snake. It is likely that he derived it from the medieval German word “ber” and “berslange” and latinized it by simply adding the ending “-us”. This becomes obvious from Konrad von Megenberg (1309 – 1374) who explicitly stated that “Berus” is the “ber” snake, the word “ber” being derived from the old German “bera” (gebären) = to bear, to give birth to living young.
While Albertus Magnus proves to be critical against old reports from the antiquity, mostly dating back to Gaius Plinius Secundus (Pliny the Elder: 23 – 79), this is not the case with Konrad von Megenberg one century later. He repeated all
mystic and bizarre details of viperid reproduction and claimed them to be most reliable!
The second part of this contribution is devoted to the question put forward by Niccolò Leoniceno (1428 – 1524) in is early herpetological note “De tiro seu vipera” (1497/99) where he discussed whether the snake called “Tirus” in those days was
an exotic snake species from the Near East or the common Italian viper (Vipera aspis). Descriptions of this snake could again be found in the much earlier works of Albertus Magnus and Konrad von Megenberg respectively. The latter, except of
his explicit statement that the name “Tirus” would have given rise for the word “tiriacus”, i.e. theriac, again gave some bizarre and mystifed descriptions of this snake which was obviously basal to produce the medieval panacea called theriac. The former
author, however, gave again detailed descriptions which made clear that “Tirus” is not a single species but a group of snakes, with very different characters and properties, different distribution areas and with some forms being venomous, others, however, not. The “Tirus” described by him as living in his country (Germany) is described as non-venomous but has a morphology and behavioral traits which make it impossible to identify. Already this single Central European “Tirus” combines characteristics of the extant genera Dolichophis, Elaphe, Malpolon, Natrix and Zamenis!
Obviously, “Tirus” was a name used for a variety of snakes which were in use to produce the famous theriac which helped mainly against envenomations, except those caused by just the “Tirus” itself. Therefore, an additional mixture was made including also the famous “pharmacist’s skink” (Scincus scincus) and being called mithridat which was said to act just against snakebite. Its name was derived from the Pontian king Mithridates VI. (130 – 63 before the Christian era) who is said to have immunized himself against snakebite by applying regularly small doses of venom.